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TARDOC: Was die Umstellung für die Ärzteschaft bedeutet - Teil 1

06. März 2025

Per 1. Januar 2026 wird das veraltete TARMED-System durch den Einzeltarifkatalog TARDOC und ambulante Pauschalen ersetzt. Ziel ist die Modernisierung der Tarifstruktur für ambulante ärztliche Leistungen und eine effizientere, transparente Abrechnung. Für Ärztinnen und Ärzte birgt die Umstellung aber Herausforderungen. In einer Interviewserie haben wir mit Fachpersonen aus verschiedenen Bereichen gesprochen und verraten Ihnen was zu beachten ist. Im ersten Teil: Dr. med. Urs Stoffel, Mitglied des Zentralvorstandes der FMH bis 31.12.2024.

Herr Stoffel, warum ist die Ablösung von TARMED durch TARDOC notwendig?

Der Einzeltarifkatalog TARMED wurde 2004 eingeführt und basierte bereits bei seiner Einführung auf Daten aus den 1990er-Jahren. In der Zwischenzeit wurde die Tarifstruktur nie grundlegend aktualisiert. Das liegt unter anderem daran, dass Entscheide zur Anpassung jeweils von allen Tarifpartnern, das heisst Kostenträger und Leistungserbringer, einstimmig getroffen werden mussten. Durch die fehlenden Anpassungen an den Leistungen enthält der Tarif TARMED Tarife, die nicht der aktuellen Kostenrealität entsprechen. Kurz gesagt: TARMED als Tarifkatalog war hoffnungslos veraltet.

Welche Vorteile bietet TARDOC?

Für TARDOC wurde der Einzelleistungskatalog komplett überarbeitet und aktualisiert. Damit bildet TARDOC die Kostenrealität in der Schweiz angemessen ab. Insbesondere bei personalintensiven Arbeiten wurden die Tarife den reellen Kosten angepasst. Aber auch dort, wo beispielsweise durch den technischen Fortschritt Untersuchungen günstiger wurden, sind die Tarife angepasst worden.

Wie bewerten Sie die Zusammenarbeit mit den Versicherern und anderen Tarifpartnern im Hinblick auf die Einführung von TARDOC?

Die Revision war anspruchsvoll, weil dazu die verschiedenen Tarifpartner zusammenkommen und einen Konsens finden mussten. Dabei musste die Betriebswirtschaftlichkeit der Leistungserbringer berücksichtigt und gleichzeitig ein Kostenschub durch den Modellwechsel verhindert werden.

Die Schwierigkeit war, dass wir von der FMH uns zusammen mit Curafutura, der MTK und H+ für einen aktualisierten Einzelleistungskatalog, TARDOC, einsetzten, während sich Santesuisse, später zusammen mit H+, für eine Lösung starkmachte, die rein auf Pauschalen basiert.

Im neuen Tarifsystem, das per 1.1.2026 eingeführt wird, haben wir jetzt beides drin: ambulante Pauschalen und den neuen Einzelleistungskatalog TARDOC. Diese müssen aber kompatibel und aufeinander abgestimmt sein. Darin liegt die Komplexität und das wird auch die grosse Herausforderung sein, die uns noch bis zur Einführung 2026 beschäftigen wird.

Wie wurden die Interessen der verschiedenen Fachrichtungen und Ärztegruppen in die Entwicklung von TARDOC eingebracht?

Für die Erarbeitung von TARDOC wurden alle Fachgesellschaften vertraglich eingebunden. Bei der Verhandlung der einzelnen Kapitel waren seitens der Leistungserbringer jeweils die FMH und eine führende Fachgesellschaft anwesend. Die führende Fachgesellschaft war dafür verantwortlich, die weiteren vom jeweiligen Kapitel betroffenen Fachgesellschaften einzubeziehen und deren Positionen zu vertreten. Seitens der Kostenträger nahmen die Versicherer an den Verhandlungen Teil, allenfalls unterstützt von ihren Vertrauensärzten, die das medizinische Know-how mitbrachten. So wurde der neue Tarifkatalog Kapitel für Kapitel erarbeitet. Anschliessend fand dann die sogenannte «Normierung» statt, die sicherstellt, dass die Einführung der neuen Tarife kostenneutral ist.

Anders sieht der Prozess bei den Pauschalen aus. Diese werden rein aus bestehenden Daten abgeleitet. Wir sehen da allerdings das Problem, dass nicht ausreichend Daten vorhanden sind, um alle Bereiche der Medizin realistisch abzubilden. Ein Spital ist anders organisiert als ein Einzel- oder Gruppenpraxis. Entsprechend waren auch die Fachgesellschaften mit den vorgeschlagenen Pauschalen nicht einverstanden. Unser Vorschlag, erst TARDOC einzuführen und diesen nach und nach durch Pauschalen zu ergänzen, wurde vom Bundesrat jedoch abgelehnt.

Wie wird die Aktualisierung von TARDOC sichergestellt?

Dafür ist die neu gegründete, neutrale Organisation ambulante Arzttarife, OAAT, zuständig. Sie ist seit 2024 ist zuständig für die Tarife und Pauschalen und stellt sicher, dass die beiden Tarifsysteme kompatibel sind.

Damit die neuen Tarife nicht veralten, wurde eine jährliche Überarbeitung vertraglich festgelegt. Je nach den Veränderungen und Entwicklungen kann die Überarbeitung grösser oder kleiner ausfallen.

Welche Herausforderungen sehen Sie bei der Implementierung der ambulanten Pauschalen in Arztpraxen?

Der Ansatz der ambulanten Pauschalen klingt erstmal sehr verlockend. In der ärztlichen Praxis sieht es aber schon schwierig aus. Die Pauschalen, die jetzt eingeführt werden, basieren auf Erfahrungswerten aus Spitälern. Diese haben aber ganz andere Strukturen als Arztpraxen.

Ausserdem ist nicht sichergestellt, dass jede Pauschale exakt die Kosten der Behandlung abdeckt. Manche Pauschalen sind zu hoch angesetzt, andere zu tief. Bei grösseren Organisationen, die eine Vielzahl von Pauschalen abrechnen, kann das im Durchschnitt aufgehen. Wenn nun aber Leistungserbringer nur einen Teil der Dienstleistungen und Untersuchungen anbieten, kann es zu einer Über- oder Untervergütung kommen.

In Kombination mit dem Einzelleistungstarif wird es noch komplexer, da sichergestellt werden muss, dass Leistungen nicht doppelt abgerechnet werden können. Entsprechend wurde festgelegt, dass grundsätzlich die Pauschalen vorgehen und das, was nicht in einer Pauschale abgedeckt ist, über den Einzelleistungskatalog abgerechnet wird. Dazu wurde ein nationaler Leistungskatalog eingerichtet, wo die jeweilige Abrechnungsweise abgerufen werden kann. Dennoch wird das eine grosse Herausforderung und ist insofern zentral im Hinblick auf Schulungen und Vorbereitungskurse für Ärzte und Praxispersonal.

Wie können sich Ärztinnen und Ärzte auf die Umstellung vorbereiten?

Für Fachgesellschaften, die ganz oder fast ausschliesslich mit TARDOC arbeiten, beispielsweise die Psychiatrie, aber auch die meisten Grundversorger, sind die Änderungen überschaubar. Für sie bleibt die Abrechnung über den Einzelleistungskatalog mehrheitlich bestehen. Neu wird einfach nach den Tarifen von TARDOC abgerechnet. Hier sind es Details, die sich ändern, aber das System bleibt im Grunde das gleiche.

Komplexer wird es bei der Verwendung der ambulanten Pauschalen, da es sich dabei um eine neue Art der Abrechnung handelt. Wir gehen davon aus, dass Ärzte ihre häufigsten Anwendungsfälle vorerfassen und sich so einen eigenen Leistungskatalog aufbauen. Die wirklich komplizierten Abrechnungsfälle werden die meisten Ärzte kaum betreffen, da diese Behandlungen von den Spitälern durchgeführt werden.

Es werden auch verschiedene Vorbereitungskurse angeboten. Da sollte der Fokus sicher auf den ambulanten Pauschalen liegen. Die FMH selbst bietet zwar keine eigenen Schulungen an, stellt den Anbietern jedoch Tools zur Verfügung. Grundsätzlich finden die Schulungen in Abstimmung mit der FMH statt. Hier profitieren wir auch von den Erfahrungen, die wir 2004 bei der Einführung von TARMED gemacht haben.

Was müssen Ärztinnen und Ärzte besonders beachten?

Auf jeden Fall muss man sich bewusst machen, dass man Zeit aufwenden muss, um sich entsprechend weiterzubilden, damit ab dem 1. Januar 2026 wirklich abgerechnet werden kann. Grundsätzlich muss sich jeder Arzt basierend auf seinen Kernleistungen die Frage stellen: Bin ich betroffen von den Pauschalen? Und falls ja, welche sind es? Wenn das geklärt ist, kann man sich entsprechend vorbereiten. Für diejenigen, die nicht von den Pauschalen betroffen sind, ist die Umstellung weniger gross.

Welche langfristigen Auswirkungen erwarten Sie auf das Schweizer Gesundheitssystem?

Die tatsächlichen Auswirkungen sind meiner Meinung nach völlig offen und werden von den meisten Beteiligten massiv unterschätzt. Es geht hier um Geldleistungen von 13 oder 14 Milliarden CHF – pro Jahr! Das Ganze mit zwei Tarifen, die parallel laufen und stets aufeinander abgestimmt werden müssen, damit alles funktioniert. Diese Komplexität birgt auch ein gewisses Risiko. Die korrekte Anwendung der Tarife wird auf jeden Fall ein grosser Knackpunkt sein.

Noch sind auch nicht alle Pauschalen genehmigt. Wie viele es am Ende sein werden, ist zum aktuellen Zeitpunkt (Mitte Februar 2025, Anm. d. R.) nicht klar.

Nach der Einführung am 1.1.2026 werden wir sehen, wie sich das System in der Realität bewährt.

Herr Stoffel, vielen Dank für das Interview.

Im nächsten Teil der Serie sprechen wir mit Per-Erik Diethelm, Geschäftsführender Inhaber der Consiliamed GmbH (www.consiliamed.ch).

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Dr. med. Urs Stoffel
Dr. med. Urs Stoffel
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Weitere Informationen und Anmeldung unter: www.tardoc.net.

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